Predigt zum 2.Advent, 5.12.2021

Für alle, die am Gottesdienst nicht teilnehmen können - oder zum Nachlesen:

aus der Johanneskirche die heutige Predigt von Lektorin Alexandra Miklauc-Lettkemann

Predigttext: Jesaja 63, 15 – 64, 3

Schau doch vom Himmel herab,
wo du in Heiligkeit und Pracht wohnst!
Wo sind deine brennende Liebe und deine Macht?
Dein großes Mitgefühl und deine Barmherzigkeit –
wir merken nichts davon.
Du bist doch unser Vater!
Abraham weiß nichts von uns und Israel kennt uns nicht.
Du, Herr, bist unser Vater, »unser Befreier« –
das ist von jeher dein Name.
Warum lässt du uns in die Irre gehen,
sodass wir deinen Weg verlassen, Herr?
Warum machst du unser Herz so hart,
dass wir keine Ehrfurcht mehr vor dir haben?
Wende dich uns wieder zu!
Wir sind doch deine Knechte, wir sind die Stämme,
die für immer dir gehören.
Für kurze Zeit wurde dein heiliges Volk vertrieben,
unsere Feinde traten dein Heiligtum mit Füßen.
Es geht uns, als wärst du nie unser Herrscher gewesen.
Es ist, als wären wir nicht nach deinem Namen benannt.

Reiß doch den Himmel auf und komm herab,
sodass die Berge vor dir beben!
Komm wie ein Feuer,
das trockene Zweige in Brand setzt
und Wasser zum Kochen bringt!
Zeig deinen Feinden, wer du bist.
Völker sollen vor dir zittern.
Denn du vollbringst furchtbare Taten,
die all unsere Erwartungen übertreffen.
Komm doch herab, sodass die Berge vor dir beben!
Noch nie hat man so etwas vernommen,
noch nie hat jemand davon gehört.
Kein Auge hat jemals einen Gott wie dich gesehen:
Du allein tust denen Gutes,
die auf dich hoffen.

 

Predigt

 

Ein Liebespaar ist schon lange zusammen.
Doch jetzt steckt es in der Krise.
So etwas kann ja einmal vorkommen.

Die Eine: „Siehst Du überhaupt, was ich für dicht tue?
Dauernd wirfst du mir die alten Geschichten vor.
Wo ist das Feuer?
Ich spüre deine Liebe nicht mehr!
Früher, ja früher warst du ganz anders:
Geduldig, warmherzig, verständnisvoll.
Du lässt mich einfach hängen.
Haben wir überhaupt noch eine gemeinsame Zukunft?“

Und der andere:
„Und du? Nie hast du Zeit für mich.
Was mir wichtig ist, interessiert dich nicht mehr.Aber ich liebe dich doch. Ich will mit dir zusammen alt werden.“

Klassische Vorwürfe.
In vielen Partnerschaften und Ehen fallen solche Sätze.

Auch unsere Predigtstelle aus dem Buch des Propheten Jesaja beschreibt einen Beziehungskonflikt.
Betroffen sind aber nicht zwei Personen,
sondern das Volk Israel und Gott.

 Auch hier schwanken die Gefühle
zwischen Enttäuschung und Hoffnung hin und her.

Das Volk Israel und Gott haben schon viel miteinander erlebt:
Eine dramatische Entführung aus Liebe damals in Ägypten.
Es gab Liebesschwüre in der Wüste und erstes „Fremdgehen“,
immer wieder neue Anläufe miteinander.
Dann Zweifel am gegenseitigen Interesse.
Zerwürfnisse. Erziehungsversuche.
… wie im richtigen Leben.

 Jesaja leiht sowohl dem Volk Israel als auch Gott seine Stimme. Der Prophet lebte zur Zeit, als viele aus der Verschleppung zurück nach Israel gekommen sind. Damit wurde ein neues Kapitel in der Beziehung aufgeschlagen.

 Ich stelle mir vor, was einige in der Gruppe denken:

„Jetzt wird alles wieder so, wie früher. Bald wird wieder alles wachsen und gedeihen. Wir werden den Tempel wieder aufbauen und Gott wieder Opfer darbringen. Dann wird alles wieder gut.“, so die Erwartung der einen.

„Das haben wir uns aber ganz anders vorgestellt! Wo bist du, Gott? Wir sind doch dein erwähltes Volk – davon ist nichts zu spüren.“, so die anderen verzweifelt.

 Sie sehen die Trümmerhaufen in Israel und sehen ein niedergeschlagenes Volk.

Manche klagen Gott an: „Bist du nicht mit uns verbunden wie ein Vater oder eine Mutter mit ihren Kindern? Warum passt DU nicht besser auf uns auf? Warum lässt du es zu, dass wir uns verlaufen?“

Die Sehnsucht wird ausgesprochen:
„Reiß doch den Himmel auf und komm zu uns herunter, Gott!
Bring Himmel und Erde in Bewegung, damit wir zusammen einen Weg in die Zukunft finden. Wir brauchen dich ganz nah. Wir wollen dein Wort hören. Komm zu uns, jetzt, ganz schnell.“

Jesaja nimmt die Stimmen auf, im Predigttext sind sie zu lesen.

Zurück ins hier und heute:

Paaren, die in einer Beziehungskrise feststecken, tut oft eine Begleitung von außen gut. Jemand mit Herzenswärme und Sachverstand – für beide da!

Jemand, der nicht in die Krise verstrickt ist, kann eher vermitteln, klären, begleiten und neue Horizonte öffnen.

Ich will mich einmal als „Paarberaterin“ versuchen.

Das Volk Israel ist die eine Person und Gott die andere.

Zunächst fällt mir als Beraterin auf:

Es kommt nur eine Seite zu Wort. Israel redet – Gott hat lange nichts zu sagen. Er ist ein guter Zuhörer, er lässt Israel ausreden. Erst im 65. Kapitel spricht Gott: „Ich wollte gesucht werden, doch niemand hat nach mir gefragt. Ich wollte gefunden werden, doch niemand hat nach mir gesucht. Ich sagte: ‚Ich bin da, ich bin da!‘ Aber mein Volk rief meinen Namen nicht an!“, so ist es bei Jesaja zu lesen.

Als Beraterin würde ich sagen: „Respekt! Ich spüre auf beiden Seiten ganz viel Herzblut. Sie sind sich nicht egal. Darin liegt eine große Chance für die Zukunft.“

Nebenbei denke ich mir: Gott zeigt soviel Gefühl und Warmherzigkeit, das berührt mich.

Auch dass in Gott etwas Kindliches zu finden ist, überrascht: Er spielt mit Israel verstecken, so wie es Kinder tun. Und Gottes Enttäuschung, dass Israel nicht „mitspielt“ kann ich gut verstehen. Die Israeliten laufen einfach weg und beginnen mit anderen ein neues Spiel.

Dann höre ich als Beraterin nochmals auf die Worte Israels -
ein ganzer Strauß an verschiedenen Gefühlen.
„Reiß doch den Himmel auf und komm herab...“
SEHNSUCHT PUR

Gleich daneben Zweifel:

„WO ist denn deine brennende Liebe und deine Macht? Dein großes Mitgefühl und deine Barmherzigkeit? - wir merken nichts davon.“

Und dann wieder so viel Vertrauen: „Du bist doch unser Vater!“

Ich höre weiter zu, da kommen nämlich noch ziemlich harte Brocken: „Warum lässt Du mich in die Irre gehen, so dass wir deinen Weg verlassen? Warum machst du unser Herz so hart, dass wir keine Ehrfurcht mehr haben?“

Wenn es nicht so ernst wäre, müsste ich als Beraterin schmunzeln. Wie ein kleines Kind macht das Volk Israel Gott Vorwürfe: „Du bist schuld, dass es uns schlecht geht. Wir haben nichts falsch gemacht, du hast es so gewollt. DU bist schuld.“

Schuldzuweisungen sind sicher sind sicher nicht der richtige Weg in die Zukunft – wichtiger wäre es, zu erkennen, dass man an der Misere selbst mitbeteiligt ist. Mir als Beraterin wäre wichtig, dass Israel Verantwortung für sich selbst übernimmt und diese nicht an Gott abgibt. Ich würde Israel fragen: „Kannst du diese wenig hilfreichen Gedanken an die Schuld nicht für eine Weile in eine Schachtel packen und zur Seite stellen?“

Offensichtlich hat Israel dies versucht, denn die Worte werden versöhnlicher. Israel wirbt um Gott: „Kein Auge hat jemals einen Gott wie dich gesehen. Du tust Gutes denen, die auf dich hoffen.“

Und auch Gott lädt zu Nähe ein. Er verspricht eine gemeinsame Zukunft und Israel will auf diesem Weg mitgehen.

Gott und Israel.
Gott und wir -
das ergibt eine Liebesgeschichte mit Höhen und Tiefen.

Sie ist noch lange nicht zu Ende geschrieben.
Sie beginnt mit jedem Menschen wieder neu.

Ein Sprichwort sagt: „Jedes neu geborene Kind ist der lebendige Beweis dafür,
dass Gott die Lust an uns Menschen noch nicht verloren hat.“

Auch zu Weihnachten feiern wir die Geburt eines Kindes.
Voll zärtlicher Phantasie für diese Welt, hat Gott das Jesuskind in die Krippe gelegt.
Gott hat den Himmel aufgerissen und ist heruntergekommen, so wie es der Prophet Jesaja erhofft hat.

Viele Männer, Frauen und auch Kinder haben in Jesus Gott selbst entdecken können.
Jetzt im Advent da warten wir auf Weihnachten.
Zu Weihnachten da fühlen sich viele Gott näher als sonst.
Es lohnt sich für jeden und jede von uns zu überlegen:

Wie ist das so zwischen Gott und mir?
Wie steht es um unsere Beziehung?
Wie nahe sind wir uns im letzten Jahr gewesen?

Hoffen und Sehnen, manchmal vielleicht sogar zärtliche Nähe, aber auch Enttäuschung und Zweifel – das alles mag es gegeben haben.

Vielleicht auch das:
Wir haben uns nichts mehr zu sagen,
wir stecken in einer Krise,vielleicht sollten wir uns trennen?

Aber so wie bei einer Liebesbeziehung muss auch im Glauben eine Krise kein Ende einer Beziehung sein. Es kann auch der Beginn für einen reiferen Weg miteinander sein. Solange wir leben, ist der Weg mit Gott nicht zu Ende – selbst wenn wir ihn unterbrochen haben sollten. Es kann sein, dass der Himmel ganz unerwartet aufreißt – und Gott berührt unser Herz.

Der eine erlebt das vielleicht, wenn er in einem Konzert ist und da ist plötzlich diese Melodie ... Eine Melodie, die ihn mit Himmel und Erde verbindet.

Eine andere hält ihr neugeborenes Kind im Arm und spürt auf einmal: „Was für ein Wunder wurde mir da anvertraut?“ Sie wird ganz still und dankbar.

Und noch jemand anders liest einen Bibelvers und das Herz geht dabei auf.
O Heiland reiß die Himmel auf – das ist ein alter Wunsch.

Ja, Gott, komm! Komm auch heute zu uns! Komm im Kind von Bethlehem
Komm in den Worten von Jesus!
Komm als Mensch, der uns begegnet und unser Herz berührt! 

AMEN